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Die «Andersheit» Christi

von T. Austin-Sparks

Zuerst veröffentlicht in den Zeitschriften "A Witness and A Testimony", Mär-Apr Sep-Okt 1943, Vol. 21-5. Originaltitel: "The Otherness of Christ". (Übersetzt von Manfred Haller)

Liebe Freunde, was macht der Herr mit uns? Das ist es, was wir wissen möchten. Was macht Er mit dir und mir, und mit denen, die wirklich in Seiner Hand sind? Macht Er mit uns nicht das, was Er mit allen gemacht hat, die vollständig unter Seine Hand gekommen sind – mit andern Worten: Er führt auf eine Weise und in einen Bereich, wo menschliches Verständnis und menschliche Fähigkeiten völlig durch einander gebracht und erschöpft sind, wo es völlig unmöglich ist, mit Seinen Wegen Schritt zu halten, oder Ihn zu erklären. Wir können nichts sehen, wir können nichts verstehen; nichts ist in uns, das es uns möglich machte. Wir erfahren, dass alle unsere Hilfsquellen nichts taugen und dass alles vom Herrn selbst abhängt – von Seiner Weisheit, Seiner Kraft, Seiner Gnade.

Nun gut; wenn dies bisher und zu diesem Zeitpunkt eure Erfahrung ist, dann versteht, dass das ganz in Ordnung ist, es ist überhaupt kein Fehler. Gewiss, es ist sehr schmerzhaft, es stellt uns auf die Probe. Und der Test geht so weit, dass eure Füße den Rand des Abgrunds berühren, bevor ihr Gott erlebt. Ihr müsst bis ans äußerste Ende eines Wege kommen und zu einem Anfang, der euch soweit führt, dass ihr eure Füße zu einem Schritt hebt, um Gott zu erfahren, damit Gott herein treten kann. Ihr sagt, das geht aber bis zum Äußersten. Das stimmt, aber es ist gerade dieses Äußerste des Unterschieds zwischen dem Herrn und uns, das wir lernen müssen, und das konfrontiert uns mit dem Koloss falscher Lehre, mit der bösartigen Lüge, die auf dieser Erde bis zum Himmel hinaus gebaut worden ist – der Lüge des Humanismus.

Es ist die größte Lüge, die in dieses Universum eingeführt wurde, dass der Mensch fähig ist, sein eigener Erlöser zu sein, dass es dem Menschen möglich ist, sich zur Vollkommenheit zu erheben, dass der Mensch sogar imstande ist, Gott zu sein. Das alles soll im Menschen drin stecken, die Wurzeln dafür seien in ihm selbst vorhanden. Ich sage, das ist Satans Koloss einer bösartigen Unwahrheit, und Gott arbeitet den Widerspruch dazu heraus in einer Gemeinschaft von Menschen, Seiner Gemeinde. Es wird im Unsichtbaren bewirkt, herausgearbeitet; und auch wenn es am Tag des Leidens, der Schwachheit, der Dunkelheit und der Unfähigkeit so schwer ist, es zu akzeptieren und zu verstehen, so ist es möglicherweise, wenn wir die Wahrheit wüssten, ganz einfach dies: Gott macht mit Satan in der und durch die Gemeinde das, was Er mit Satan in und durch Hiob gemacht hat, indem Er seine Herausforderung und seine Lüge beantwortete. Hier ist ein zerbrochenes, erschlagenes, hilfloses Gefäß von Heiligen, verwirrt, beraubt, auf ihren Gott zurück geworfen, unfähig, etwas zu tun oder zu verstehen, die sich aber an Ihn hängen und Ihn zu erfahren suchen; und durch dieses Gefäß wird die größte Bosheit in diesem Universum von Gott angegangen und beantwortet.

Die Lüge! Es hat nie eine Zeit gegeben, in der diese Lüge größere Proportionen angenommen hat als heute. Doch hat Gott in euch und mir, in uns armen Zerbrochenen, Seine Antwort gefunden, und es bedeutet dem Herrn etwas, dass wir bis zum letzten Tropfen geleert wurden, dass wir auf Ihn zurückgeworfen wurden, so dass Er unsere Weisheit, unsere Kraft, unser Leben und sogar unser Atem ist. Das bedeutet Ihm etwas.

Karl Barth hat für uns einen Satz geprägt, der große Kraft und einen festen Platz gewonnen hat, und er ist zudem sehr nützlich: «Die absolute «Andersheit» von Christus». O, das geht viel weiter als wir uns bewusst sind, ganz bestimmt viel weiter als viele Leute zu glauben bereit sind. Selbst im evangelikalen Christentum hängt man an der Vorstellung, dass, wenn wir wiedergeboren werden, wir alles auf Christus und das Christentum übertragen. Wir übertragen all unsere Fähigkeiten und unsere Kräfte auf die Interessen Christi, und dann, statt sie für uns und für die Welt zu nutzen, nutzen wir sie für Christus. Das ist die Bedeutung von Weihe, von Übergabe, so wie heute diese Begriffe in der evangelikalen Christenheit weit gehend gebraucht werden – die Hingabe von uns selbst, unserer Gaben, unserer Fähigkeiten, von allem was wir sind und haben, an den Herrn und an Seinen Dienst. Aber da fehlt etwas Entscheidendes. Es geht nicht einfach um die Übertragung und die Hingabe von allem, was wir sind, an den Herrn, um geradewegs, sobald es auf Seiner Seite ist, für Seine Interessen statt für die Welt gebraucht zu werden. Christus ist noch ganz anders, Christus unterscheidet sich noch einmal grundsätzlich von einem Gott geweihten natürlichen Leben; o, so ganz anders! Da muss noch etwas geschehen; unsere ganze Mentalität muss verändert, verwandelt werden. Das Denken muss erneuert werden; wir müssen eine vollständig andere Art von Vorstellung haben, selbst über die Dinge Gottes. Es ist eine konstitutionelle Angelegenheit, keine bloß richtungweisende.

Das ist die Bedeutung der Art, wie Gott mit uns umgeht; nämlich, dass wir eine neue Mentalität, eine neue Vorstellung gewinnen; eine andere, nicht bloß die Alte auf Gott übertragen, sondern eine wirklich andere. Und die Distanz ist nicht notwendigerweise eine zeitliche oder geographische. Es ist die Distanz eines Unterschieds. Und wir machen geistlich gesehen schnellere oder langsamere Fortschritte, je nachdem wir diese Lektion lernen. Welches ist das Geheimnis des geistlichen Fortschrittes? Es ist dies, dass wir unseren eigenen Willen und unser eigenes Denken loslassen zugunsten der Tatsache, zugunsten der Wahrheit, dass es schließlich, obwohl wir als Christen unser Bestes geben, indem wir hundert Prozent für den Herrn sein möchten, nicht in uns liegt, etwas zu sein oder zu tun. Unser Wille kann uns nie dahin bringen.

Wir müssen zu einer Zerbrochenheit und Hingabe gelangen, wo die Natur in den Staub hinab gelegt worden ist und unser ganzer Schatz bei den Steinen im Bachbett ist, und der Allmächtige zu unserem Schatz wird (Hiob 22,24-25), wo der Herr allein unsere Weisheit, unsere Kraft und Vision und unser Verlangen ist. Solange wir, ihr und ich, diese Lektion äußerster Zerbrochenheit und Hingabe und des Loslassens an den Herrn nicht gelernt haben, wird der geistliche Fortschritt aufgehalten.

Möge der Herr uns die große Distanz zeigen, die zwischen uns selbst als Christen und Christus liegt. Möge Er uns ein Herz geben, das sich dem Werk des Geistes beugt, durch das Er uns diese Lektion lehrt und sie verwirklicht, indem Er uns mehr und mehr zu dem Maße Seines Sohnes bringt.


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