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Die Last vom Tal der Offenbarung

von T. Austin-Sparks

Zuerst veröffentlicht in den Zeitschriften "A Witness and A Testimony", Mai-Jun 1945, Vol. 23-3. Originaltitel: "The Burden of the Valley of Vision". (Übersetzt von Manfred Haller)

Schriftlesung: Jesaja 22,1

Das Wort «Last» meint hier einfach eine Ladung oder ein Gewicht, so viel ein Mensch tragen kann. So hatten die Propheten das Gefühl, dass das, was der Herr ihnen zeigte, etwas war, das schwer auf ihnen lastete und sie oft überwältigte.

Die prophetische Funktion wurde zu einer Zeit wirksam, da die Dinge um das Volk und das Werk Gottes nicht zum Besten standen, da der Niedergang einge-setzt hatte; da die Dinge ihren deutlichen göttlichen Charakter eingebüßt hatten; da ein Zukurzkommen oder eine Zunahme von Erscheinungen auftrat, Dinge, die nie vom Herrn vorgesehen waren. Der Prophet ist im Prinzip jemand, der in sich selbst und seiner Vision Gottes Reaktion entweder auf eine gefährliche Tendenz oder eine konkrete Abweichung repräsentierte. Er steht voll auf Gottes Grund, und der Trend fällt über ihn her. Was diese prophetische Funktion konstituiert, ist ein geistliches Wahrnehmungs- und Unterscheidungsvermögen und geistliche Einsicht. Der Prophet sieht, und er sieht, was andere nicht sehen. Es handelt sich um eine Vision, und diese Vision ist nicht einfach ein Unterfangen, ein «Werk», ein Wagnis; es ist ein Zustand, eine Bedingung. Er sorgt sich nicht um das Werk als solches, sondern um den geistlichen Zustand, der den Herrn verunehrt und bekümmert.

Diese Fähigkeit des geistlichen Unterscheidungsvermögens macht aus dem Pro-pheten einen sehr einsamen Menschen, und es bringt ihm all die Vorwürfe ein, er sei einzelgängerisch, extrem, idealistisch, unausgeglichen, geistlich stolz, und sogar schismatisch. Er macht sich so viele Feinde. Manchmal wird er nicht gerechtfertigt bis er die irdische Bühne seines Dienstes verlassen hat. Dennoch ist der Prophet das Werkzeug, das den vollen Gedanken des Herrn am Leben erhält, und das die Vision aufrecht erhält, ohne die das Volk verurteilt ist, zügellos zu werden (vgl. Sprüche 29,18).

Obwohl es so oft ein einzelner Mensch gewesen ist, bei dem der Herr seinen volleren Gedanken deponiert und den er sich zum prophetischen Gefäß erwählt hat, ist es auch sehr häufig eine Gruppe aus seinem Volk gewesen, durch die er viel vollkommener repräsentiert wurde. Solche Gruppen findet man zerstreut durch die Zeitalter hindurch. Sie waren die Gefäße von Gottes Reaktion. Solcherart sind gewiss die «Überwinder» jeder «Endzeit». Die Masse der Christen mag zu sehr mit den Äußerlichkeiten und den akzeptierten Wegen des Christentums beschäftigt sein; sich geistlich zu sehr mit weniger zufrieden geben; zu sehr durch Traditionen gebunden und von der etablierten Ordnung gefesselt. Der Herr kann mit ihnen nicht sein volles Konzept verwirklichen, weil er seinen neuen Wein nicht in alte Schläuche gibt; die Schläuche würden bersten und das Leben wäre vergeudet, nicht zu einem definitiven Zweck aufbewahrt. Er fühlt sich durch eine Ordnung eingeschränkt, die, wiewohl sie zu einer bestimmten Zeit richtig sein mochte und eine gewisse Zeit lang sein Zeugnis bis zu einem bestimmten Punkt weiterbrachte, jetzt zu einer festen Bindung geworden ist, so dass seine volleren Vorsätze unmöglich realisiert werden können aus Mangel an einer entschiedenen Anpassungsfähigkeit. So war es mit dem Judaismus, so weit ist es auch mit dem Christentum gekommen, und so steht es auch mit manch einem Instrument, das einmal von ihm mächtig gebraucht wurde. Wir können hier nicht abschließende Urteile fällen, und es ist gefährlich für die Interessen des Herrn, solche Schluss-folgerungen zu ziehen, weil der Herr zu einer bestimmten Zeit es so geführt und ein Muster vorgegeben hat, das voll und endgültig war und darum erhalten bleiben soll. Jedes bisschen neue Offenbarung ruft nach einer (späteren) Anpassung, doch die Offenbarung wartet, bis die Empfindung für deren Notwendigkeit eintritt, oder sie hält sich zumindest bereit, sich (jederzeit) anzupassen.

Der Herr benötigt etwas, das wirklich seinen höchst möglichen Gedanken reprä-sentiert, nicht solche, die einfach ein gutes Werk tun. Aber das kostet etwas; und das ist dann die «Last» vom Tal der Offenbarung.


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