von
T. Austin-Sparks
Zuerst veröffentlicht in den Zeitschriften "A Witness and A Testimony", Jan-Feb 1949, Vol. 27-1. Originaltitel: "A Way of Growth" - Kapitel 2. (Übersetzt von Manfred Haller)
«… Er hat uns das Geheimnis seines Willens bekanntgemacht» (Eph. 1,9).
«… dass er mich das Geheimnis durch die Offenbarung wissen lassen hat … Daran könnt ihr, wenn ihr es lest, meine Einsicht in das Geheimnis des Christus erkennen … und alle darüber zu erleuchten, was die Gemeinschaft des Geheimnisses ist, das von den Ewigkeiten her in Gott verborgen war» (Eph. 3,3.4.9).
«Dieses Geheimnis ist groß; ich aber deute es auf Christus und die Gemeinde» (Eph. 5,32).
« … damit mir das Wort gegeben werde, so oft ich meinen Mund auftue, freimütig das Geheimnis des Evangeliums bekannt zu machen» (Eph. 6,19).
Wir haben durch den Epheserbrief hindurch diesem charakteristischen Wort «Geheimnis» nachgespürt. Was bedeutet es?
Es hat zwei Seiten. Zunächst bedeutet «Geheimnis» etwas, das verborgen gehalten worden ist, das nicht erkennt werden, das man nicht klar sehen oder verstehen konnte. Es war eine verhüllte Angelegenheit, etwas, was wir eine Geheimsache nennen; und es wird uns gesagt, Gott habe diese Geheimsache, dieses Geheimnis, von Ewigkeit her und durch alle Geschlechter hindurch verborgen gehalten, nun aber habe er sie bekannt gemacht. Etwas, was bisher verborgen gewesen war, ist nun öffentlich bekannt geworden.
Dann aber gibt es noch die andere Seite davon, die ebenso klar ist, dass, selbst wenn das Geheimnis geoffenbart worden ist, Menschen es nicht sehen können, es sei denn, Gott gebe ihnen erleuchten darüber. Obwohl dies das Zeitalter ist, in dem es bekannt gemacht wurde, bleibt es dennoch so lange ein Geheimnis, bis Gott die Augen öffnet und Erleuchtung gewährt. Paulus sagte: «Durch Offenbarung wurde mir das Geheimnis bekannt gemacht»; «so könnt ihr mein Verständnis dieses Geheimnisses erkennen». Also ist es eine Sache dessen, dass das Geheimnis erklärt oder unseren Herzen geoffenbart wurde, und erst wenn wir dazu kommen, es zu sehen, werden wir geistlich erweitert. Wir bewegen uns auf die Fülle zu, indem wir «das Geheimnis» sehen.
Das Wort «Geheimnis» wird im Neuen Testament in verschiedenen Zusammenhängen verwendet, aber es gibt zwei Hauptzusammenhänge. Ihr könnt sogar sagen, die beiden schlössen alle andern mit ein. Zuerst ist es «das Geheimnis des Christus» . Wir lesen den Satz: «Das Geheimnis des Evangeliums»; aber das kommt darin vor, es ist ein Teil des Geheimnisses Christi. Und zweitens gibt es auch «das Geheimnis der Bosheit». Was aber wird aus diesem Geheimnis, wenn ihr in das Neue Testament hinein blickt? Nun, in beiden Fällen, betreffe es das Geheimnis des Christus oder das Geheimnis der Bosheit, stellt ihr fest, dass es sich um eine Inkarnation eines geistigen und übernatürlichen Wesens handelt, das eine menschliche Gestalt annimmt. Das ist vollkommen klar und einfach im Blick auf Christus. Gott war in Christus, das ist das Geheimnis. In den Tagen seines Fleisches verstand niemand das Geheimnis; es war etwas Verborgenes. Man hatte den Eindruck, er habe etwas Mysteriöses an sich, etwas, das sich von den andern unterschied, etwas «Anderes», «Höheres». Sie konnten ihm nicht «auf den Grund gehen», wie wir zu sagen pflegen; sie konnten ihn nicht richtig verstehen: «Da ist etwas an diesem Menschen, das wir nicht verstehen können, er ist so anders». «Die Welt kannte ihn nicht» (Joh. 1,10). Es ist des Geheimnis Gottes in Christus - Gott erscheint in der Gestalt eines Menschen, Gott ist dem Menschen gleich gemacht worden.
Beim Geheimnis der Gesetzlosigkeit ist es dasselbe, ein anderes übernatürliches, geistiges Wesen hat Menschengestalt angenommen: der schließliche Antichrist. Das Geheimnis der Bosheit ist dies, dass es etwas in der Menschheit gibt, das sich in der Menschheit zum Anführer erhebt, ein einzelner Mensch oder mehrere Menschen, das nicht bloß der Mensch selbst ist. Etwas daran ist böse, finster, unheimlich. Ihr könnt es nicht bloß auf natürlichem Grund erklären. Es besteht im Zusammenhang damit ein Geheimnis. Es ist die Inkarnation eines geistigen und übernatürlichen Wesens, welches das Geheimnis entweder Christi oder des Antichristen ist.
Doch wenn ihr es mit Christus zu tun habt, dann stellt ihr fest, dass das Geheimnis zweifacher Art ist. Zuerst ist es er selbst, wie wir gesagt haben. Gott persönlich in Christus, so dass Christus der inkarnierte Gott ist. Doch dann stellt ihr fest, durch das, was dem Paulus und durch ihn geoffenbart wurde, dass Christus einen Leib annimmt - nicht einen physischen Körper, sondern einen geistlichen Körper - «die Gemeinde, die sein Leib ist» (Eph. 1,22.23), und die Gemeinde, die sein Leib ist, wird zum Geheimnis Christi; d.h. hier ist Gott in Christus, der einer Gruppe von Leuten, von Erwählten, innewohnt, eben der Leib Christi. Der Epheserbrief im besonderen befasst sich mit diesem Aspekt Christi, dass ihr hier eine Körperschaft von Leuten habt, die Gemeinde genannt wird, in der Gott in Christus wohnt.
Es ist etwas Geheimnisvolles mit diesen Leuten, mit dieser Gemeinde, da ist etwas, das übernatürlich ist, da ist etwas Geistliches dran. Es handelt sich nicht bloß um eine Gemeinschaft von Menschen, die sich Christen nennen, eine Anzahl Leute, die sich (regelmäßig) im christlichen Glauben versammeln und gewissen Lehren anhängen. Es ist etwas mehr als dies an ihnen. Wenn ihr es nur wissen und verstehen könntet, in der tiefsten und innersten Wirklichkeit ihres Wesens sind sie übernatürlich; es sind nicht natürliche Leute, es sind keine irdischen Menschen. Es ist etwas in ihnen verborgen, das ihr auf keinem andern Grunde erklären könnt, und ihr müsst sagen: «Es ist Gott; es ist der Herr». Wenn ihr diesen Leuten begegnet, wenn ihr euch mit ihnen versammelt, selbst in einer kleinen Gemeinschaft, wenn ihr euch hinein begebt, findet ihr etwas Besonderes an diesen Leuten, etwas mehr als was sie sonst sind; ihr begegnet dem Herrn. Es ist ein Geheimnis damit verbunden, und das Geheimnis des Christus, von dem Paulus spricht, ist nicht nur des Geheimnis von Christus persönlich, sondern es ist das Geheimnis des gemeinschaftlichen Christus, von Christus in seinem Leib, der Gemeinde.
So spricht Paulus also über jenes Geheimnis, und er sagt: «Nun, das ist etwas Himmlisches, etwas Geistliches; es ist nicht etwas auf dieser Erde, das ihr erklären könnt, wie man andere irdische Dinge erklären kann. Das ist etwas Himmlisches, und ihr könnt das überhaupt nicht nach irdischen Standards erklären.
Das ist die Feststellung der Tatsache, aber selbstverständlich ist dies die Herausforderung an die Gemeinde. Ist die Gemeinde das? Nur in dem Maße, wie wir tatsächlich sind, was wir zu sein berufen sind, das ist unser geistliches Maß. Geistliches Maß ist das, was wir im Blick auf Christus sind, was Christus in uns ist.
Dann kommen wir zu diesem anderen Punkt: es ist nicht die Tatsache, die uns wachsen lässt; d.h. es ist die die Wahrheit des Leibes als bloße Wahrheit, die Tatsache der Gemeinde als bloße Tatsache hingestellt, die uns geistliche Erweiterung vermittelt. Wir können das alles sehen, so wie es in der Schrift dargestellt ist, und doch macht es für uns keinerlei Unterschied aus, was unser geistliches Maß betrifft, es kommt nie zu einer geistlichen Erweiterung. Es gibt einen Haufen Leute, die alle Wahrheit über das Geheimnis des Christus und der Gemeinde wissen, alle Wahrheit über den Leib Christi, und doch sind sie sehr kleine Leute. Viele von ihnen haben es, und leben dennoch auf einem korinthischen Grund, wo alles sehr irdisch und ichbetont ist; und noch viel mehr leben auf Galater-Grund, wo alles sehr gesetzlich ist. Wenn es zu einer geistlichen Erweiterung kommen soll, muss es da stattfinden, was wir Epheser-Grund nennen wollen.
Was ist der Ephesergrund? Es ist dies. Paulus sagt, ihm sei dieses Geheimnis geoffenbart worden; es wurde ihm bekannt gemacht. Und nun sagt er diesen Leuten, dass er für sie bete. Sie sind Christen, darüber besteht keinerlei Zweifel; doch er sagt, er bete für sie, «dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch den Geist der Weisheit und Offenbarung schenken möge in der Erkenntnis seiner selbst; er möge die Augen eures Herzens erleuchten, damit ihr wisst, welches die Hoffnung seiner Berufung, welches der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen, und welches die überragende Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, ist, gemäß der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke, die er in Christus gewirkt hat, als er ihn von den Toten auferweckte» (Eph. 1,17-20). All das hat zu tun mit der wahren, ewigen Berufung und Bestimmung dieses gemeinschaftlichen Christus. Es ist die Erkenntnis Christi jetzt in all dem, was er auf eine gemeinschaftliche Weise bedeutet. Das ist die Erkenntnis, von der er betet, dass sie sie haben sollten; und nachdem er so für sie gebetet hatte, geht er weiter zur Frage der geistlichen Erweiterung.
Schließlich kommt er zu dem großen Punkt im 4. Kapitel: «bis wir alle hingelangen … zu dem Maß des vollen Wuchses (bzw. vollen Mannesalters) der Fülle des Christus» . Wie gelangt ihr zur Fülle? Was ist geistliche Erweiterung? Es ist das Ergebnis davon, dass die Augen eures Herzens erleuchtet werden in Bezug auf die Bedeutung und Natur Christi, wie er in seinem Leib, der Gemeinde, zum Ausdruck kommt. Der Punkt ist der, dass ihr es seht, dass es durch eine Offenbarung über euch herein bricht. Dann befindet ihr euch auf der Stelle außerhalb der korinthischen Position, auch außerhalb der Galater-Position, außerhalb einer bloß irdischen Gemeinde mit ihren Verordnungen, Zeremonien, usw. Ihr befindet euch in einer himmlischen Position, und nun fangt ihr an, zu wachsen.
Auch auf die Gefahr hin, mich ungebührlich zu wiederholen, lasst mich wegen der Wichtigkeit dieser Sache nochmals betonen, dass der Apostel wie zu sich selbst, zu den Gläubigen seiner Tage, und ebenso zu uns sagt, der Weg zur geistlichen Erweiterung geschehe dadurch, dass die Augen unseres Herzens erleuchtet werden. Paulus hätte nie so gebetet, wenn es nicht der Wille des Herrn wäre, dass es so ist. Und wenn es sein Wille ist, dann können wir die Augen unseres Herzens geöffnet bekommen, um so zu wissen, was Paulus wusste - durch Offenbarung.
Die höhere Position des Epheserbriefes ist daher diese - dass, mit dem Herrn auferweckt, erhöht und mitversetzt zu sein in himmlischen Regionen, eine Frage dessen ist, wie wir mit andern Gläubigen verbunden sind, und dass wir in dieser Verbindung unsere Fülle finden werden. Ihr werdet eure geistliche Erweiterung nie bloß als isoliertes, getrenntes Individuum finden, sondern in Verbindung mit andern Gläubigen. Gott ist «in Gott, der Vereinsamten ein Heim (Zuhause, eine Familie) gibt» (Ps. 68,6), und darüber besteht kein Zweifel: Ob ihr diese Lehre versteht und akzeptiert oder nicht, ihr könnt sehr schnell durch die Erfahrung beweisen, dass unsere geistliche Erweiterung durch eine wahre und geistliche Verbindung mit andern Gläubigen geschieht. Das wird auch durch die Tatsache bestätigt, dass es für Gläubige nicht immer leicht ist, längere Zeit mit einander zu leben. Es mag schrecklich klingen, wenn man das sagt, aber ihr müsst noch mit einer Menge anderer Faktoren rechnen.
Wenn ihr gewöhnliche Leute in dieser Welt wärt, würde es euch vielleicht sehr leicht fallen, aber da ihr Christen seid, steht ihr der ganzen Macht Satans gegenüber, der jedes bisschen natürliches Leben ausnützt, das er finden kann. So macht er Dinge zu Schwierigkeiten, die es nicht wären, würden sie sich nicht in einer himmlischen Position befinden. Sie stoßen auf Kräfte in den himmlischen Regionen. Da gibt es all die Reibungsflächen und Bruchstellen und all die Gegenströmungen, die versuchen, Christen auseinander zu bringen, die jedoch andere Leute nicht trennen würden, weil es so sehr mit der echten, geistlichen Einheit unter dem Volk Gottes zusammenhängt - so sehr für den Herrn und gegen Satan. Satan wird diese geistliche Einheit aufsprengen, wenn er kann. Er weiß, was das für ihn bedeutet, und der Herr weiß, was es für IHN bedeutet; von daher die besonderen und extremen Schwierigkeiten, wenn es darum geht, dass Christen zusammen leben, besonders für lange Zeit.
Nun, was ist das Ergebnis? Wenn diese Schwierigkeiten auftauchen, müssen wir sagen: «Es ist offenbar nötig, dass ich eine neue geistliche Position einnehme, um darüber Herr zu werden. Wenn ich nicht aufgeben und davonlaufen will, muss ich zu einer geistlichen Erweiterung kommen; ich muss den Herrn auf eine neue Weise kennen lernen, ich benötigte mehr Gnade, Liebe und Geduld. Das ist geistliche Erweiterung, und sie kommt dadurch, dass wir in Verbindung mit andern stehen.
In Übereinstimmung mit dem Wunsch von T. Austin-Sparks, dass das, was er frei erhalten hat, weitergegeben und nicht gewinnbringend verkauft werden sollte und dass seine Botschaften Wort für Wort reproduziert werden, bitten wir Sie, diese Botschaften mit anderen zu teilen und frei anzubieten, um seine Wünsche zu respektieren - frei von jeglichen Änderungen, kostenlos (außer notwendigen Vertriebskosten) und mit dieser Erklärung inklusive.