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Die Zeit ist kurz

von T. Austin-Sparks

Zuerst veröffentlicht und bearbeitet in den Zeitschriften "Toward the Mark" Mai-Jun 1974, Vol. 3-3. Originaltitel: "The Time is Shortened". (Übersetzt von Manfred Haller)

«Das aber sage ich, ihr Brüder: Die Zeit ist nur noch kurz bemessen! So sollen nun in der noch verbleibenden Frist die, welche Frauen haben, sein, als hätten sie keine, und die weinen, als weinten sie nicht, und die sich freuen, als freuten sie sich nicht, und die kaufen, als besäßen sie es nicht, und die diese Welt gebrauchen, als gebrauchten sie sie gar nicht...» (1. Korinther 7,29-31).

Es ist nötig, dass wir Paulus‘ Worte nicht missverstehen, denn er würde sich nie widersprechen. Er, der schrieb: «Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Gemeinde geliebt hat...» würde nie etwas schreiben, das die Kraft einer solch großartigen Beschreibung der Ehebeziehung herabsetzen oder beiseite setzen würde. Ganz bestimmt wollte er nicht die Bedeutung der Ehe minimalisieren; noch war er der Meinung, dass Weinen oder Frohlocken oder andere menschliche Regungen für nichts geachtet werden sollten; seine Bemerkungen wurden angesichts der existierenden Situation in Korinth geäußert, und sie beginnen mit dem Wort «Aber». «Das aber sage ich, ihr Brüder: Die Zeit ist … kurz».

In seinem Brief war der Apostel gezwungen, viele unglückliche Erscheinungen der aktuellen Erfahrung der korinthischen Gemeinde zu behandeln. Es gab dort so viele Ungereimtheiten, sogar Widersprüche, und so vieles, das den Herrn verleugnete, dass es war, als würde er all dessen äußerst überdrüssig, so dass er sich gedrängt fühlte, einen Protest darüber hinauszuschreien, dass er für das Wortgezänk und die Fleischlichkeit des Volkes Gottes so viel Zeit und Energie aufwenden musste. Er fühlte, dass er es sich nicht leisten konnte, die er für die negative Aufgabe des Ermahnens, Korrigierens und Zurechtweisens hergeben musste. Er wollte sich hauptsächlich mit den positiven Dingen des Lebens im Geist beschäftigen, und so stöhnte er über die schiere Verschwendung von Zeit, welche die internen Zustände in Korinth hervorriefen.

Für diesen Mann, der seine Augen stets auf einen breiteren Horizont gerichtet hatte, gab es noch immer so viel zu tun. Paulus war sich der ungeheuren Kräfte bewusst, die gegen Christus und gegen sein Zeugnis am Werke waren, dass er das Gefühl hatte, sie befänden sich in einer Notsituation. In seinen Tagen gab es Anzeichen einer großen Krise, in der das christliche Zeugnis verhüllt werden könnte; er spürte schon in der Atmosphäre die Spannung, die ihm schließlich das Martyrium einbrachte. Da er sich des Notstandes bewusst war, in dem das öffentliche Zeugnis, das Werk des Herrn ganz allgemein, ernsthaft unterdrückt werden würde, und die gegnerischen Mächte die Welt überfluten würden bei ihrem Versuch, das Zeugnis Christi zu zerstören, konnte er es nicht unterlassen, deswegen seinen Brüdern gegenüber auszurufen: «Aber… die Zeit ist kurz!» Er wollte, dass sie hinsichtlich ihrer internen Probleme und Schwierigkeiten klar kamen, so dass sie alle nur möglichen Gelegenheiten für Christus auskaufen konnten. Wir müssen frei werden von der Beschäftigung mit uns selbst, so dass wir die Zeit, die uns bleibt, ausnützen können, denn sie ist all zu kurz.

Ich weise euch darauf hin, dass in diesem Zusammenhang die Schriftstelle für uns jetzt sehr bedeutsam ist. Es gibt so viele Probleme, Fragen, Meinungsdifferenzen, persönliche Reibereien, aber... ! «Aber», Brüder und Schwestern, «die Zeit ist kurz - zu kurz, um sie auf zweit- oder drittrangige Dinge zu verschwenden». Selbst die Ehe, der Kummer und die Freuden des Lebens, Besitztümer, Modeerscheinungen, irdische Interessen - es ist nicht so, dass sie falsch wären, aber sie stellen eine heimtückische Falle dar, um uns vom wahren Geschäft unserer christlichen Lebensweise abzulenken. Nichts, vom innersten Kreis unserer häuslichen Beziehungen bis hin zum weitesten Kreis der Weltgeschehnisse, darf je gestattet werden, sich in unser Zeugnis für Christus einzumischen. Diejenigen, die mit Frauen gesegnet worden sind, dürfen nicht zulassen, dass sie ihr Leben derart ausfüllen, dass der glückliche häusliche Kreis sie so sehr beschäftigt, dass er all ihre Zeit beansprucht. Es gibt solche, die weinen, aber sie dürfen nicht zulassen, dass ihr Kummer sie bezüglich der Interessen des Herrn lähmt. Dann gibt es andere, die mit Recht fröhlich sein können, aber sie müssen aufpassen, dass ihre Freude sie nicht untergräbt, so dass sie ihr Priorität einräumen und sich selbst plötzlich abseits von ihrer Hauptaufgabe vorfinden, die sie zur Ehre Christi hätten ausführen sollen. Es gibt vieles in der Welt, das uns mit Recht interessieren könnte. Den Korinthern war bereits gesagt worden: «Alles ist euer; sei es Paulus, oder Apollos, oder Kephas, oder die Welt...» (1. Kor. 3,22). Doch Paulus sagte ihnen auch, sie sollten diese Gabe nicht missbrauchen, nicht voll ausschöpfen, es nicht zu ihrem Hauptinteresse werden lassen. Brüder, die Zeit ist kurz, und wir dürfen nicht zulassen, dass irgend etwas in irgend einem Bereich unseres Lebens die Interessen des Herrn beeinträchtigt.

Dies ist der Schrei eines Mannes, der zurückblickt und weiß, dass er nicht mehr viel Zeit hat. Paulus spürte stets die kalte Hand der Vergangenheit, die nach ihm griff, um ihn an jene vergeudeten Jahre zu erinnern, die er so tief bedauerte. Er hatte eine beträchtliche Zeit seines früheren Lebens damit verbracht, einen falschen Weg zu gehen, indem er gegen den Sohn Gottes kämpfte; und er beklagte jene unfruchtbaren Jahre. Wie viel Energie - und ganz besonders religiöse Energie - wurde äußerst vergeudet! Seine Seele war erfüllt von Kummer wegen dieser Fehlschläge, wegen der verlorenen Gelegenheiten der Vergangenheit, und es trieb ihn dazu, dafür zu sorgen, dass dies nie wieder geschieht. Er rief seinen Protest hinaus gegen eine weitere Verkürzung. Das Leben ist nicht so lang wie das alles, dass man es sich leisten könnte, noch mehr Fehlschläge, mehr verlorene Zeit, mehr falsch ausgegebene Energie zu riskieren. Das Leben hier auf Erden ist allzu kurz! Der Mann, der auf jene Zeiten in seiner Erfahrung zurückschaute und darüber trauerte, als seine Energien einen Lauf nahmen, der seinem Herrn keine Ehre einbrachte, musste mit Verachtung ausrufen bei der Aussicht auf noch mehr Verschwendung.

Es ist auch der Schrei eines Mannes, der um sich blickte, der sich der überwältigenden Not bewusst war, die überall überhand nahm. Paulus war tief traurig über der schreienden geistlichen Not von Christen, die so stümperhaft und kraftlos schienen, aber ebenso über den ekelerregenden Zustand der Menschen ohne Christus, zahllose Menschen, die keine lebendige Erfahrung der umwandelnden Kraft des Evangeliums kannten. Und die Zeit ging so schnell vorbei. Die Bedürfnisse auf allen Seiten waren so groß, dass man beinahe schuldig zu werden schien, wenn man ihnen weniger als die volle und ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte. So ist es auch heute. Nur die gänzlich Unempfindsamen realisieren nicht, wie ernsthaft die Bedingungen sind, die sie umgeben. Die Nöte sind so groß, und es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die uns verbleibende Zeit sehr kurz ist, und ebenso unsere Gelegenheiten, das Werk des Herrn zu vollbringen. Es hatte den Anschein, als wären die Korinther so sehr mit ihren eigenen Angelegenheit absorbiert gewesen, dass sie es versäumten, zu realisieren, wie geistliche Gelegenheiten und Werte ihrem Zugriff entglitten. Paulus war entsetzt darüber, dass dies der Fall sein sollte. Er selbst war kein passiver Zuschauer, kein nur an sich selbst interessierter Neutraler, sondern ein Mann, der die überragende Bedeutung dessen wahrnahm, die Werke Gottes zu vollbringen, solange es noch Tag war. Er schrie aus gegen das lähmende Werk Satans unter Christen und gegen die große Kraft der Finsternis in der Welt. «Der Gott dieser Welt hat den Sinn der Ungläubigen verblendet» (2. Kor. 4,4), und dieses verdunkelnde, blendende Werk des Teufels zwang ihn dazu, seine Brüder zu warnen, dass die Zeit sich dem Ende näherte.

Seine Worte waren auch der Appell eines Mannes, der mit eifriger Erwartung in die Zukunft blickte, und der gewahr wurde, wie vieles in diesen kürzer werdenden Tagen noch zu tun übrig blieb. Sein eigener Lauf würde bald vollendet sein, und er hatte das Gefühl, dass, auch wenn er alle Augenblicke seiner restlichen Tage noch in äußerster Hingabe an Christus zubrachte, so wäre das noch immer schmerzlich unangemessen, und er selbst wäre ein unnützer Knecht. Die Zeit war so kurz, dass er wusste, dass er am Ende mit Bedauern zur Kenntnis nehmen musste, dass, könnte er sein Leben noch einmal von vorne beginnen, würde er es um so viel besser nutzen. Das mag eine allgemeine und sehr natürliche Gefühlsregung sein, doch für Paulus war es sehr wichtig, sie zu minimalisieren, um am Ende seiner kurzen Karriere vor unnötigem Bedauern verschont zu werden. Das war der Grund, weshalb er seine Brüder in Korinth dazu drängte, sich ihm darin anzuschließen, alles dieser einen großen Sache des Werkes Christi dienstbar zu machen.

Einige von ihnen war zweifellos noch sehr jung an Jahren, und deshalb waren sie sich noch nicht bewusst, wie schnell das Ende des irdischen Lebens herannahen konnte, doch der Aufruf an sie war dennoch genauso wichtig, denn auch im besten Falle vergeht das Leben allzu schnell, und der Heilige Geist würde gewiss etwas von seiner eigenen Dringlichkeit auf sie übertragen, jede Gelegenheit für die Verherrlichung Christi auszukaufen. Die Christen jener Tage lebten in ständiger Erwartung der Wiederkunft des Herrn Jesus in Herrlichkeit. «Im Nu, in einem einzigen Augenblick», wurde ihnen gesagt, würde die Trompete geblasen zur Beendigung des Evangeliums-Zeitalters (1. Kor. 15,52). Die Wiederkunft hat noch nicht stattgefunden, doch für viele von uns scheint sie unmittelbar bevorzustehen, so dass wir mehr als je zuvor die Tatsache bedenken sollten, dass die Zeit kurz ist. Es kann sehr wohl sein, dass, während wir uns schnell auf jenen großen Tag zubewegen, wir feststellen müssen, wie die Türe für ein christliches Zeugnis zugeht, indem den Dienern Gottes alle möglichen neuen Einschränkungen auferlegt werden, und dann wird Paulus‘ «Aber» noch viel relevanter. Es steht all den kleinlichen und unwürdigen Vorurteilen von Christen wie jenen Korinthern gegenüber, die geneigt waren, die kostbaren Momente, die ihnen noch immer geblieben waren, mit unnützen Diskussionen und kindischem Selbstmitleid zu verzetteln. Die meisten Dinge, die in diesem Brief zur Sprache gebracht werden, hätten sich nie ergeben, wenn die Gläubigen die Prioritäten richtig gesetzt und nicht vergessen hätten, wie schnell die Zeit zerrinnt und die Ewigkeit naht. Dasselbe gilt - sogar in noch höherem Maße - für unsere eigenen Tage und dieses Zeitalters. Brüder, wir haben keine Zeit übrig für die vielen unwichtigen und zeitraubenden Differenzen und Dispute, die die Gemeinde Christi beschäftigen und ihre Energien aufbrauchen. Es gibt etwas viel Wichtigeres zu tun. Die Interessen des Herrn verlangen, dass wir mit all dem, was keinen ewigen Wert hat, ein Ende gemacht haben und mit dem wirklichen Geschäft des Lebens vorankommen, welches darin besteht, das Königreich und den König einzuführen.


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